70 ist das neue 65: Wie wir das Altern neu definieren
In Deutschland wird die Bevölkerung immer älter, doch was bedeutet es heutzutage, alt zu sein? Fitte Senioren, die auf E-Bikes unterwegs sind oder im Fitnessstudio trainieren, prägen zunehmend das Bild der älteren Generation. Besonders in den Blick rückt dabei die Frage: Ist das hohe Alter ein Gewinn oder eine Herausforderung? Und sprechen wir genug über diese Veränderungen?
Altersvorsorge neu gedacht
Ein Blick auf die heutige Gesellschaft zeigt, dass ältere Menschen aktiver und gesünder sind als je zuvor. Ein beeindruckendes Beispiel ist Johanna Quaas, die mit 98 Jahren immer noch sportlich aktiv ist. Sie wurde zur ältesten Turnerin der Welt ernannt und führt weiterhin eine tägliche Gymnastikroutine durch. Diese Vitalität im hohen Alter ist jedoch nicht die Norm, sondern eher die Ausnahme.
Demografische Entwicklung: Von der Pyramide zum Pilz
Die Altersstruktur der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert. Während früher die demografische Pyramide das Bild prägte, gleicht die heutige Bevölkerungsverteilung eher einem Pilz – mit mehr älteren Menschen an der Spitze und immer weniger jungen Menschen am unteren Ende. Zwischen 1990 und 2022 stieg die Zahl der über 70-Jährigen von 8 auf 14 Millionen.
Die Altersforscherin Adelheid Kuhlmey warnt: „Wir steuern auf eine pflegerische Katastrophe zu.“ Sie betont, dass sich das öffentliche Bewusstsein und die Gestaltung der nachberuflichen Lebensphase ändern müssen. Diese Phase wird oft als „Restlaufzeit“ bezeichnet – ein Begriff, der das menschliche Leben mit einem Atomkraftwerk vergleicht.
Die verlängerte Lebensphase: Mit 66 ist noch lange nicht Schluss
Schon in den 1970er Jahren sang Udo Jürgens „Mit 66 ist noch lange nicht Schluss“. Der Sänger selbst wurde 80 Jahre alt. Heute zeigt der Deutsche Alterssurvey, dass Männer und Frauen im Alter von 65 Jahren noch durchschnittlich 16 bis 17 Jahre ohne größere gesundheitliche Beeinträchtigungen leben können. Einige Experten gehen sogar so weit zu sagen: 70 ist das neue 65.
Doch der menschliche Körper hat seine Grenzen. Ab einem gewissen Alter treten Krankheiten häufiger auf, von denen Demenz eine der gefürchtetsten ist. Selbst Fitness und ein aktiver Lebensstil können die Auswirkungen des Alterns nicht vollständig verhindern. Johanna Quaas, die bald 99 wird, hat eine einfache Lebensphilosophie: „Immer aktiv bleiben.“
Hochbetagte: Der Abbau beginnt oft mit 85
Ab einem Alter von 85 Jahren beginnen für viele Menschen die körperlichen und geistigen Einbußen. Das Leben kann zwar weiterhin erfüllend sein, doch es ist nicht mehr das Leben eines 70-Jährigen. Die Unsicherheit darüber, was „alt sein“ eigentlich bedeutet, macht das Thema komplex – sowohl politisch als auch gesellschaftlich.
Vorsorge und neue Wohnformen: Die Boomer sind gefragt
Die Babyboomer, die zwischen Mitte der 1950er- und Ende der 1960er-Jahre geboren wurden, stehen nun vor der Herausforderung, das Altern neu zu gestalten. Diese Generation hat bereits Erfahrungen mit der Pflege ihrer Eltern gemacht und könnte daraus Lehren ziehen. „So geht es nicht weiter, das will ich meinen Kindern nicht zumuten,“ sagt Kuhlmey.
Sie hofft, dass die Boomer alternative Wohnformen wie Alters-WGs oder Mehrgenerationenwohnen verstärken. Auch die Digitalisierung könnte im Alltag hilfreich sein, während viele dieser Generation über ein gutes finanzielles Polster und höhere Bildung verfügen. Dennoch steht das Pflegesystem unter großem Druck, und die Debatte darüber, wie wir in Zukunft altern wollen, ist noch nicht ausreichend geführt.
Fehlende Diskussionen über die letzten Dinge
„Wir gehen das Thema Altern noch immer zu naiv an“, resümiert Kuhlmey. Es gibt zu wenige Patientenverfügungen und kaum öffentliche Diskussionen über die letzten Lebensjahre. Was soll die Medizin im Alter von 85 Jahren noch leisten? Und was kann sie vielleicht nicht mehr leisten, vor allem im Hinblick auf begrenzte Budgets?
Soziale Teilhabe bleibt entscheidend für ein erfülltes Leben im hohen Alter, doch wird sie auch für Hundertjährige gewährleistet? „Wir verdrängen das Hochalter noch zu sehr“, sagt Kuhlmey und fordert mehr gesellschaftliche Debatten – auch über schwierige Themen wie die Sterbehilfe. „Im Leben bekommt man nichts ohne einen Preis,“ schließt sie.
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