Droht Deutschland ein Stromengpass? Die möglichen Folgen einer französischen Abkopplung vom europäischen Strommarkt
Frankreich ist Deutschlands wichtigster Stromlieferant. Doch die jüngsten politischen Entwicklungen in Frankreich könnten diese Beziehung auf eine harte Probe stellen. Die rechtsnationalen Parteien um Marine Le Pen haben die erste Runde der Parlamentswahlen gewonnen und könnten bei der Stichwahl am Sonntag die Regierung stellen. Ein zentrales Anliegen dieser Parteien ist es, Frankreich von den europäischen Strompreisregularien zu lösen und einen „französischen Strompreis“ einzuführen. Was bedeutet das für Deutschland?
Frankreich als Stromlieferant Nummer eins
Deutschland wurde 2023 erstmals seit 20 Jahren zum Nettoimporteur von Strom. Einheimische Energieversorger führten 11,7 Terawattstunden (TWh) mehr Strom ein, als sie ausführten. Der Grund ist einfach: Die Ware war im Ausland häufig günstiger. Frankreich war mit einer Menge von 12,4 TWh Deutschlands Stromlieferanten Nummer eins – und in diesem Jahr setzt sich die Entwicklung fort.
Nun steht Frankreich vor einer politischen Wende. Die rechtsnationalen Kräfte um Marine Le Pen und den Spitzenkandidaten Jordan Bardella wollen Frankreich von den europäischen Strompreisregularien lösen. Auch der Vorsitzende der konservativen Les Républicains, Éric Ciotti, forderte im Interview mit France 2: „Frankreich muss aus dem europäischen Energiemarkt aussteigen, um wieder eine autonome Stromproduktion und günstigere Strompreise zu garantieren.“
Die Folgen für Deutschland
Vor diesem Hintergrund verbreitet sich in Deutschland die Angst, dass die neue französische Regierung Deutschland „den Stecker ziehen“ könnte, sprich, die Stromexporte stoppen würde. Doch wie realistisch ist dieses Szenario und welche Folgen hätte es für Deutschland?
„Die installierte Kraftwerksleistung in Deutschland ist deutlich größer als der höchste Stromverbrauch“, erklärt der Strommarkt-Experte am Fraunhofer-Institut in Freiburg, Prof. Dr.-Ing. Bruno Burger. Die maximale Last (Stromverbrauch und Netzverluste) lag 2023 in Deutschland bei etwa 74 Gigawatt (GW), während die verfügbare Erzeugungsleistung ohne die fluktuierenden Quellen Solar und Wind bei 100 GW lag. Deshalb wäre die Versorgungssicherheit in Deutschland auch gewährleistet, wenn Frankreich den Stromaustausch beenden würde, ist Burger überzeugt.
Höhere Strompreise als Konsequenz
Auch wenn Deutschland sich selbst mit Strom versorgen kann, könnte eine Abkopplung Frankreichs vom europäischen Strommarkt zu „geringfügig höheren Strompreisen führen“, wie Bruno Burger bestätigt. Deutschland importiert den meisten Strom aus Frankreich im Sommer, wenn der Stromverbrauch und damit die Strompreise an der Börse niedrig sind. In kalten Wintern ist hingegen Frankreich von Nachbarländern wie Deutschland abhängig, weil dort die installierte Kraftwerksleistung kleiner als die Spitzenlast ist.
Die 12,4 TWh Strom, die 2023 aus Frankreich nach Deutschland eingeführt wurden, machten nur 2,4 Prozent des gesamten deutschen Stromverbrauchs aus – andersherum sind es 2,7 Prozent. Die deutsche Angewiesenheit auf den französischen Strom ist also eher gering und nicht einseitig.
Wirtschaftliche und politische Implikationen
Eine Abkopplung Frankreichs vom Strommarkt würde hauptsächlich Frankreich hart treffen. Frankreich hätte dann an kalten Wintertagen Defizite und im Sommer Überschüsse, die es nicht mehr verkaufen kann. Kernkraftwerke müssten im Sommer teilweise vom Netz genommen werden, um die Überschüsse zu begrenzen. Tatsächlich investiert Frankreich gerade viel in erneuerbare Energien, weil sie günstiger als neue Atomkraftwerke sind. Der Energieexperte glaubt nicht, dass eine rechtsgerichtete Regierung das umkehren könnte.
Die aktuellen Entwicklungen werfen ein Schlaglicht auf die Fragilität europäischer Energieabhängigkeiten. Deutschland muss sich auf mögliche Szenarien vorbereiten und seine Energiepolitik entsprechend anpassen. Die politische Wende in Frankreich könnte somit auch in Deutschland weitreichende Diskussionen über die Zukunft der Energieversorgung und die Rolle der erneuerbaren Energien anstoßen.