Historische Weichenstellung: Macht die US-Notenbank einen fatalen Fehler?
Die bevorstehenden US-Wahlen werfen ihre Schatten voraus und für Jerome Powell, den Chef der US-Notenbank Federal Reserve, wird es am Mittwoch ernst. Die Finanzwelt blickt gespannt auf seine Ankündigung, die erste Zinssenkung seit März 2020 zu erläutern. Doch könnte diese Entscheidung ein historischer Fehler sein?
Die Roboterhaftigkeit der Notenbanker
Wenn man Notenbankern zuhört, könnte man meinen, sie seien Teil eines alten „Kraftwerk“-Songs. Zahlen, Fakten, Regeln und Wahrscheinlichkeiten dominieren ihre Aussagen. Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), bemühte sich bei ihrem letzten Auftritt, möglichst maschinenähnlich zu wirken. Am Mittwoch wird Jerome Powell in ähnlicher Manier auftreten und die Zinssenkung verkünden.
Die Spekulationen der Anleger
An den Börsen wird derweil das übliche „Fed-ärgere-uns-nicht“-Spiel gespielt. Anleger spekulieren darauf, dass die US-Notenbank die Zinsen in einer Reihe von Schritten weiter senken wird. Bereits seit August 2023, als die Fed die Zinsen auf 5,25 bis 5,5 Prozent erhöhte, wird auf eine baldige Zinssenkung gewettet.
Die komplexe Steuerung des Geldes
Die Steuerung der Geldpolitik ist komplexer als es scheint. Geldpolitische Entscheidungen wirken weit in die Zukunft hinein, während enormes Unwissen über die weitere Entwicklung herrscht. Wirtschaftsstrukturen und Verhaltensweisen ändern sich unvorhersehbar. Deshalb werden die großen Notenbanken von einem Gremium aus Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen und Einschätzungen geführt.
Strategische Überlegungen der Notenbanker
Notenbanker spielen drei Spiele gleichzeitig: kurzfristig, um die Finanzmärkte in die gewünschte Richtung zu lenken; mittelfristig, um die Inflation niedrig zu halten und Rezessionen zu verhindern; und langfristig, um die eigene Institution unbeschadet durch die Zeit zu bringen. Angesichts der bevorstehenden US-Wahlen rückt für Jerome Powells Fed die langfristige Stabilität zunehmend in den Fokus.
Die fiskalische Ignoranz der US-Politik
Die US-Finanzpolitik ist aus den Fugen geraten. Die Staatsverschuldung liegt bei 123 Prozent der Wirtschaftsleistung, und die öffentliche Kreditaufnahme beträgt siebeneinhalb Prozent. Trotz des politischen Streits im Präsidentschaftswahlkampf herrscht Einigkeit im Ignorieren von Budgetlimits. Beide Kandidaten versprechen weitere Ausgabenprogramme und/oder Steuersenkungen, obwohl die US-Konjunktur hochtourig läuft.
Das Ticken der Schuldenbombe
Amerikas Schulden sind eine tickende Zeitbombe, die den Handlungsspielraum der Fed einschränkt. Hohe Schulden könnten bei einer Zinserhöhung die Zahlungsfähigkeit des Staates infrage stellen, was zu einem Zielkonflikt zwischen Geldwertstabilität und Finanzstabilität führt. Auch die EZB und andere Notenbanken stehen vor ähnlichen Herausforderungen.
Powells offene Flanke
Um sich gegen politische Übergriffe zu schützen, muss die Fed mit einer sauberen Bilanz dastehen. Die zurückliegende Inflationsperiode hat jedoch das Vertrauen in die Notenbank erschüttert. Die Inflation liegt noch bei 2,5 Prozent, die Kerninflation bei 3,2 Prozent – deutlich höher als der Zwei-Prozent-Zielwert der Fed.
Eine Zinssenkung am Mittwoch bedeutet nicht zwangsläufig den Beginn eines ausgeprägten Zyklus weiterer Zinssenkungen. Nur wenn die Fed das mittelfristige Spiel gewinnt, hat sie eine Chance, auch im langfristigen Spiel die Oberhand zu behalten.