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20.06.2024
05:54 Uhr

Nach BASF: Jetzt wollen auch Selbstständige aus Deutschland abwandern

Nach BASF: Jetzt wollen auch Selbstständige aus Deutschland abwandern

Die deutsche Wirtschaftskrise hat viele Ursachen: Bürokratie, Fachkräftemangel, hohe Energiepreise und Steuern sind nur einige der Beispiele, warum Deutschland für Unternehmen als Wirtschaftsstandort zunehmend unattraktiver wird. Große Konzerne wie BASF verlagern ihre Produktion daher mittlerweile zunehmend ins Ausland. Nun zeigt eine neue Umfrage des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln, dass auch viele Selbstständige über eine Abkehr ins Ausland nachdenken. 36 Prozent gaben demnach an, dass sie sich vorstellen könnten, aus Deutschland abzuwandern. Einige von ihnen wollen ihre Selbstständigkeit sogar wieder aufgeben.

Bürokratie belastet Freiberufler: Statusfeststellungsverfahren in der Kritik

Einer der Hauptgründe für die Abwanderungsgedanken der Selbstständigen ist laut der IW-Umfrage die überhöhte Bürokratie in Deutschland. Vor allem das sogenannte Statusfeststellungsverfahren ist vielen der 6300 befragten Selbstständigen ein Dorn im Auge. Bei diesem Verfahren wird geprüft, ob eine Person tatsächlich eine selbstständige Tätigkeit ausübt oder ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis besteht und sie somit scheinselbstständig ist. In diesem Fall würden Sozialabgaben fällig.

Zuständig für das Verfahren ist die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Diese schreibt auf ihrer Webseite, dass das Statusfeststellungsverfahren ermögliche, „schnell und unkompliziert klären zu können, ob im Einzelfall eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt“. Dass das Verfahren angeblich schnell und unkompliziert funktioniere, sehen die Selbstständigen offenbar anders. Laut der Umfrage des IW gaben fast 60 Prozent der Selbstständigen, die ein Statusfeststellungsverfahren durchlaufen, an, dass sie wesentlich mehr Aufwand betreiben müssen, um neue Aufträge einzuholen. Etwa ein Drittel verliere sogar Aufträge.

IW-Direktor: „Innovationsfähigkeit in Deutschland gefährdet“

„Die enorme Bürokratiebelastung und die damit einhergehende Rechtsunsicherheit stellen für viele Selbstständige eine erhebliche Hürde dar, ihre Tätigkeit in Deutschland fortzusetzen“, kritisiert IW-Direktor Michael Hüther. Diese Entwicklung könne insbesondere für die IT-Branche mit einem hohen Fachkräftebedarf gravierende Folgen haben und die Innovationsfähigkeit des Landes gefährden. Die Bürokratie müsse dringend abgebaut werden, „um die Attraktivität Deutschlands als Standort für hoch qualifizierte Fachkräfte zu erhalten und die Selbstständigkeit zu fördern“.

Selbstständigen-Verband: „Werden bei der Gesetzgebung nicht mitgedacht“

Gegenüber der Berliner Zeitung kritisiert Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des Verbands der Gründer und Selbstständigen (VGSD), die bürokratischen Hürden für Freiberufler. „Bei der Gesetzgebung werden wir nicht mitgedacht, man denkt an große Unternehmen mit eigener Rechts- und Steuerabteilung – und selbst die klagen über die Flut an Gesetzen und Verpflichtungen mit immer kleinteiligeren Regelungen und vielen unbestimmten Rechtsbegriffen.“ Für mehr als vier Fünftel der Selbstständigenverbände sei das Statusfeststellungsverfahren das größte Problem ihrer Mitglieder.

„Die Rentenversicherung leugnet das Problem seit Jahren in einer für uns unerträglichen Art und Weise“, ärgert sich Lutz. „Jedes Beispiel, das wir ihr vorlegen, bezeichnet sie als Sonderfall.“ Das Statusfeststellungsverfahren sei in anderen Ländern nicht am einzelnen Auftrag orientiert, sondern an der Person des Selbstständigen und seiner Tätigkeit. Es werde also beispielsweise anders als in Deutschland berücksichtigt, ob man nur einen oder viele verschiedene Auftraggeber hat. Entscheidungen würden anderswo mit Wirkung in die Zukunft getroffen. „In Deutschland kann es aufgrund eines Urteilsspruches zu rückwirkenden Forderungen in Millionenhöhe kommen, obwohl zuvor ein anderes Rechtsverständnis Konsens war.“

VGSD fordert „schnellstmögliche Reform“ von der Ampelregierung

Helge Meyer, Vorstand des Deutschen Bundesverbands für IT-Selbstständige (DBITS), die laut der IW-Umfrage besonders stark betroffen sind, beklagt auf Anfrage der Berliner Zeitung ebenfalls die Bürokratielast. „Die Gefahr der Scheinselbstständigkeit drängt uns derzeit in komplexe Vertragskonstrukte, die wir zum Arbeiten nicht bräuchten.“ Auch er kritisiert die Deutsche Rentenversicherung, da diese eine Evaluierung des Verfahrens erst für 2025 angesetzt habe. „Das kommt für uns viel zu spät.“ Andreas Lutz fordert daher von der Ampel, dass sie das Verfahren zeitnah überarbeitet. „Um das Problem zu lösen, muss das Arbeitsministerium schnellstmöglich eine wirksame Reform des Statusfeststellungsverfahrens auf den Weg bringen.“ Die zuletzt beschlossene Reform der großen Koalition aus dem Frühjahr 2022 sei wirkungslos geblieben.

Eine Abwanderung von Freiberuflern ins Ausland hätte aus Sicht von IW-Studienautor Oliver Stettes fatale Folgen. „Es würde bedeuten, dass sich die Standortperspektiven für Deutschland verschlechtern und wir auch bei der ökologischen Transformation weniger schnell vorankommen.“ Daher sei die Politik nun gefordert, die drohende Abwanderung von Selbstständigen zu verhindern. „Wir müssen schlicht die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln in Deutschland verbessern.“ Die Politik müsse den Fokus wieder verstärkt auf die Pflege des Standorts Deutschland richten, fordert Stettes.

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