Anne Brorhilker: Kampfansage an die Finanzlobby und Regierung
Die ehemalige Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker hat eine klare Botschaft: Sie will gegen die „Schieflage des Systems“ vorgehen, die den milliardenschweren Steuerbetrug durch Cum-Ex-Geschäfte ermöglicht hat. Brorhilker, die im Mai 2024 ihr Amt niederlegte, um sich der Bürgerbewegung Finanzwende anzuschließen, erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung und insbesondere gegen Finanzminister Christian Lindner (FDP).
Untätigkeit der Regierung und kriminelle Deals
Brorhilker prangert zusammen mit dem Finanzwende-Gründer Gerhard Schick (Grüne) die Untätigkeit des Staates beim sogenannten Cum-Cum-Steuerbetrug an. Diese Betrugsmasche hat Schätzungen zufolge mit mindestens 28,5 Milliarden Euro einen noch höheren Schaden verursacht als die bekannteren Cum-Ex-Geschäfte. Trotz beträchtlicher Haushaltsdefizite, so die Anschuldigung, zeigten die Finanzminister in Bund und Ländern bislang kein Interesse, dieses Geld einzutreiben.
Brorhilker zufolge leistete das Bundesfinanzministerium jener umstrittenen Praxis sogar jahrelang Vorschub, indem es in einem Schreiben von 2016 die kriminellen Aktiendeals unter bestimmten Bedingungen für zulässig erklärte. Erst 2021 sei dies korrigiert worden – allerdings ohne erkennbare Anstrengungen, die Milliarden zurückzuholen. Finanzwende hat inzwischen vier Klagen gegen das Bundesfinanzministerium sowie die Finanzministerien von Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen eingereicht.
Einfluss der Finanzlobby
Hinter der beklagten Untätigkeit der Regierung vermutet Brorhilker den Einfluss der Finanzlobby, einer „großen, sehr gut vernetzten Branche, die ein großes Interesse daran hat, effektive Kontrollen und Strafverfolgung zu verhindern“. Es sei nicht das erste Mal, dass Brorhilker den übermäßigen Einfluss jener Finanzlobby offen verurteile. Erst Anfang Juli hatte die Juristin deutliche Worte über die politische und mediale Manipulation gefunden, derer sich jene Lobby zuweilen bediene.
„Entmachtungsversuche“ und „mangelnde Rückendeckung“
Seit 2013 ermittelt Brorhilker zum Cum-Ex-Betrug und seit 2017 leitete sie die Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung der Staatsanwaltschaft Köln. Unter ihrer Führung eröffnete die Kölner Staatsanwaltschaft rund 120 Verfahren gegen 1700 Beschuldigte. Trotz dieser Erfolge habe sie kaum Ressourcen erhalten und sei auf erheblichen Widerstand gestoßen. „Die Rückendeckung meiner Vorgesetzten war sehr unterschiedlich ausgeprägt,“ so Brorhilker in einem Interview.
„Systematische Diskreditierung“ und „Medien-Märchen“
Zu den zahlreichen Erschwernissen ihrer Arbeit zählte Brorhilker auch die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den Behörden. So habe das Bundesministerium der Finanzen seit 2009 über eine Liste mit 566 potenziellen Cum-Ex-Betrügern verfügt, die jedoch nicht mit ihr geteilt wurde. Zudem entdeckte die Juristin eine enge Verbindung zwischen Finanzindustrie und Politik, insbesondere im Fall der Warburg-Bank, bei dem Steuerrückforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro fallen gelassen wurden.
Darüber hinaus berichtete Brorhilker auch von massivem Widerstand der Finanzlobby gegen ihre Ermittlungen. „Es wurde häufig alles getan, um unsere Arbeit zu erschweren und in die Länge zu ziehen“, so die ehemalige Staatsanwältin. Dokumente seien ins Ausland geschafft worden, Anwälte hätten aktiv Durchsuchungen behindert. Auch über den außergerichtlichen Einfluss der Finanzlobby auf entsprechende Verfahren blieb sie nicht im Ungefähren.
„Fakt ist, dass Anwälte von Herrn Olearius einen Freispruch beantragt haben. Die Vorsitzende Richterin hat das abgelehnt. Angeklagte beschäftigen oft für viel Geld nicht nur Anwälte, sondern auch Leute, die gezielt Märchen erzählen.“
Brorhilker betonte, ihre Erfahrung und ihr Wissen bei Finanzwende einzubringen, um „Wirtschaftskriminalität auf einer anderen Ebene zu bekämpfen“. Ihr Ziel sei es, die Finanzverwaltung und die Politik stärker in die Verantwortung zu nehmen und effektive Maßnahmen gegen Steuerbetrug durchzusetzen.
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