Haushaltsplan der Bundesregierung: Ein erneutes Debakel?
Der mühsam gefundene Haushaltskompromiss der Ampelkoalition steht auf der Kippe: Finanzminister Christian Lindner sieht nach zwei Gutachten dringenden Gesprächsbedarf. Die SPD kritisiert sein Vorgehen scharf und der Streit geht in eine neue Runde.
SPD-Chefin Esken schlägt Alarm
SPD-Chefin Saskia Esken, die derzeit auf Sommerreise in Sachsen und Thüringen ist, unterstützt die Wahlkämpfer ihrer Partei, die angesichts der schlechten Umfragewerte der SPD einen schweren Stand haben. Ein Streitthema schien die Ampelkoalition jedoch abgeräumt zu haben: Anfang Juli konnten sich Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck auf einen Haushaltsentwurf einigen.
Grenzen des Erträglichen überschritten
Doch dieser Entwurf gerät nun ins Wanken. Esken kritisiert Lindner scharf: „Das ist rücksichtslos und überschreitet für mich die Grenzen des Erträglichen in einer Koalition.“ Es geht um zwei Rechtsgutachten zum Haushaltsentwurf, die der Finanzminister in Auftrag gegeben hatte. Laut Esken hätte Lindner die Ergebnisse nicht gestern vorlegen dürfen, als alle Augen auf den Gefangenenaustausch in Ankara gerichtet waren. Zudem habe Lindner die Gutachten ohne vorherige Abstimmung innerhalb der Bundesregierung „eigenwillig“ bewertet.
Gutachten: Lindners Haushaltsplan „nicht umsetzbar“
Die Gutachter stellten fest, dass sich die Milliardenlücke im Haushaltsentwurf nicht einfach durch kreative Buchungen schließen lässt. Es gebe erhebliche verfassungsrechtliche Risiken. Nun steht die Ampel vor der Aufgabe, acht bis neun Milliarden Euro anderweitig aufzubringen oder einzusparen. „Die Koalition muss jetzt wieder eine Einigung herbeiführen, wo schon eine Einigung gewesen ist“, beschreibt Esken die Lage. „Das macht mich einigermaßen ratlos.“
SPD macht Lindner verantwortlich
Eskens Äußerungen scheinen mit anderen SPD-Politikern abgestimmt zu sein. Fraktionschef Rolf Mützenich wirft Lindner in der Süddeutschen Zeitung unverantwortliches Handeln im Haushaltsstreit vor. Der haushaltspolitische Sprecher Dennis Rohde erklärt, „es ist die Aufgabe des Bundesfinanzministers, einen verfassungsrechtlich tragfähigen Haushaltsentwurf vorzulegen“. Die Botschaft der SPD ist klar: Lindner ist schuld, wenn nun wieder viele Fragen offen sind beim Haushalt.
FDP verweist auf das Kanzleramt
Die FDP hingegen betont, dass die Idee mit den Buchungen aus dem Kanzleramt gekommen sei. Finanzminister Lindner habe rechtliche Bedenken gehabt und daher die Prüfung veranlasst. Die Bundesregierung hatte im Herbst letzten Jahres bereits eine herbe Niederlage in Karlsruhe erlitten, als die Umwidmung von Corona-Hilfen überprüft wurde. Nach den Rechtsgutachten sei nun erst recht notwendig zu sparen und Prioritäten zu setzen. Aus dem Finanzministerium heißt es, eine Haushaltsnotlage zu erklären, um mehr Schulden zu machen, sei keine Option. Stattdessen müsse die Treffsicherheit der Sozialausgaben überprüft werden.
Kürzungen im Sozialbereich und beim Klimaschutz
Der FDP-Finanzpolitiker Karsten Klein wird konkreter: „Man muss noch mal über Kürzungen im Sozialbereich sprechen – und auch über die Finanzierung der EEG-Umlage aus Steuermitteln.“ Klein schlägt vor, zur Förderung der Erneuerbaren besser auf den Klimafonds zuzugreifen. Das hätte aber zur Folge, dass für andere Klimaschutzprojekte weniger Geld zur Verfügung stünde. Diese Vorschläge lassen den Puls bei SPD und Grünen ansteigen.
Unterschiedliche Vorstellungen innerhalb der Koalition
Das Grunddilemma der Ampelkoalition: Die FDP auf der einen Seite und SPD sowie Grüne auf der anderen haben ganz unterschiedliche Vorstellungen zur Finanzpolitik. Aus FDP-Sicht ist der Haushalt sowieso überdehnt, weil der Staat zu viele Leistungen übernimmt. SPD und Grüne sehen dagegen kein Einsparpotenzial – eher die Notwendigkeit, zusätzliche Schulden zu machen und die Schuldenbremse erneut auszusetzen.
Experten sehen schwierige Verhandlungen
Finanzwissenschaftler Thiess Büttner, einer der externen Prüfer des Haushaltsentwurfs, sieht die Ampel vor schwierigen Verhandlungen. „Bei einem Volumen des Haushalts nahe an den 500 Milliarden Euro sollte es zwar möglich sein, die Mittel einzusparen. Aber wir haben schon sehr lange Verhandlungen gesehen. Und es ist offenbar sehr schwierig gewesen, irgendwelche Zugeständnisse zu machen.“ Daher sei der Haushalt an vielen Stellen auf Kante genäht, so Büttner. „Insofern dürfte es schwierig sein, noch zusätzliche Mittel einzusparen.“
Die 17 Milliarden Euro Lücke im Haushaltsentwurf sollten durch kreative Buchungen geschlossen werden. Da dies wohl nicht möglich ist, sind die Herausforderungen nun umso größer.