Milliarden-Kürzungen für Bürgergeld-Empfänger: Ein „Eigentor“ der Ampel-Regierung?
Die Ampel-Regierung versucht sich gerade auf einen Haushalt für 2025 zu verständigen. Es steht so gut wie fest, dass im Sozialbereich gekürzt werden soll. Sozialverbände sind entsetzt.
Debatte um Bürgergeld: Ein kontroverses Thema
Die Debatte um das von der Ampel-Regierung eingeführte Bürgergeld für Arbeitslose und Geringverdiener zieht immer weitere Kreise. Während einige Politiker das Ende des Bürgergelds für neu ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine fordern, wollen Teile der SPD lieber Menschen, die schwarz arbeiten und gleichzeitig Bürgergeld beziehen, härter sanktionieren. Finanzminister Christian Lindner (FDP) wird derweil nicht müde, eine Reform des Bürgergeldes zu fordern, um Erwerbsanreize zu erhöhen und Kosten zu sparen. Immer wieder steht dabei die Frage im Vordergrund, ob das Bürgergeld viele Menschen dazu verleite, keiner Arbeit nachzugehen.
Kürzungen für Bürgergeld-Empfänger: Milliarden weniger für soziale Teilhabe
In diese Debatte hinein kommt nun die schockierende Meldung: Die Ampel will wohl tatsächlich bei den Leistungen für Bürgergeldempfänger kürzen. Nach Angaben des Bundesnetzwerks für Arbeit und soziale Teilhabe, das einen offenen Brief an Lindner und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) veröffentlicht hat, plane die Regierung Kürzungen von 2,6 Milliarden Euro. Konkret heißt es von Seite der Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit (ein Verbund aus Sozialunternehmen, die eng mit den Jobcentern zusammenarbeiten), dass die Kürzungen wie folgt aussehen könnten:
- 900 Millionen Euro sollen durch Kürzungen im Bereich der Förderung beruflicher Weiterbildung sowie Reha-Leistungen gespart werden (diese Einsparungen wurden bereits im Sommer 2023 bekannt).
- 1,6 Milliarden Euro werden in den Budgets der Jobcenter gekürzt. Die Regionaldirektion Nord der LAG hat berechnet, dass allein in Schleswig-Holstein dadurch 70 Millionen Euro im Vergleich zu diesem Jahr fehlen würden.
Diese Kürzungen würden vor allem Langzeitarbeitslose treffen, da vor allem an den Maßnahmen, die diese Gruppe benötigen, gespart werden würde. Dazu gehören insbesondere die Leistungen zur sozialen Teilhabe, also solche, die Arbeitslosen dabei helfen, Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, die sie für den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt benötigen. Dazu gehören auch Leistungen, die diesen Menschen auch im Alltag helfen – beispielsweise beim Einkaufen – ohne die sie keine Arbeit aufnehmen können.
Kritik der Sozialverbände: Ein „Eigentor“ der Ampel
Sollten diese Leistungen so massiv eingekürzt werden, sodass diese Menschen sie überhaupt nicht mehr in Anspruch nehmen können, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals wieder arbeiten werden. So zumindest die Ansicht der Sozialunternehmen. Dabei fordern viele Politiker, allen voran aus Union und FDP, die Erwerbsanreize zu erhöhen, damit mehr Menschen in Arbeit kommen. Wie Michaela Engelmeier vom Sozialverband Deutschland gegenüber IPPEN.MEDIA sagt, gleichen die geplanten Kürzungen also einem „Eigentor“.
„Steuerzahlende durch Einsparungen in der Eingliederungshilfe zu entlasten, ist zynisch, denn gleichzeitig wird strukturelle Arbeitslosigkeit verfestigt.“
„Denn es ist erwiesen, dass es für Langzeitarbeitslose besonders schwierig ist, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Doch anstatt Unterstützungsangebote zu verbessern oder zumindest zu erhalten, wird von Teilen der Politik eine Scheindebatte über vermeintlich fehlende Erwerbsanreize geführt“, so Engelmeier. Dieser Meinung schließt sich auch das Netzwerk in dem Brief an Heil und Lindner an. „Für die von Langzeitarbeitslosigkeit Betroffenen steigt das Risiko der Dequalifizierung, sie verlieren einen wichtigen Teil ihrer Alltagsstruktur, werden sich selbst überlassen und von sozialen Kontakten abgeschnitten.“
Haushaltsstreit: Droht das Ende der Ampel?
Das sieht der Finanzminister aber ganz anders. „Wir wenden Milliarden Euro auf, um Menschen zu unterstützen, die nicht arbeiten“, sagte Lindner dem Portal The Pioneer erst in der vergangenen Woche. „Man muss nicht die Schuldenbremse aufheben, sondern muss diese Verteilungspolitik einstellen“. SPD und Grüne kritisierten Lindners Äußerungen.
„Der Sozialstaat darf gerade jetzt nicht immer wieder infrage gestellt werden“, sagte SPD-Parteichefin Saskia Esken dem Tagesspiegel am Donnerstag (20. Juni). „Gerade in einer Zeit massiver Unsicherheit und hohen Veränderungsdrucks brauchen die Menschen Signale der Sicherheit und der Orientierung“. Der Sozialstaat müsse „an der Seite der Menschen stehen“. „Für die SPD ist es ausgeschlossen, den Rotstift beim sozialen Zusammenhalt anzusetzen“, erklärte SPD-Vize Achim Post. „Und wir erwarten Offenheit und Gesprächsbereitschaft in der Frage, wie zusätzliche Finanzmittel mobilisiert werden können.“
Entsprechend bahnt sich beim Haushalt möglicherweise eine echte Regierungskrise an. Die SPD besteht auf mehr Schulden, um insbesondere die SPD-Kernthemen Bildung, Arbeit und Soziales zu wahren, während Teile der FDP nun damit gedroht haben, die Ampel zu verlassen, wenn die Schuldenbremse nicht eingehalten würde.
Der Haushaltsplan für das kommende Jahr soll am 3. Juli im Bundeskabinett verabschiedet werden. Angesichts eines Haushaltslochs von rund 25 Milliarden Euro verlangt Lindner deutliche Kürzungen in den Budgets mehrerer Ministerien, vor allem des Sozialressorts.